Wie Sie sprachliche Bildung und MINT-Bildung verbinden

Eine Erzieherin sitzt neben Kindern, die einen Strohhalm in ein Wasserglas tunken
© Stiftung Kinder forschen
Beim Erforschen von Sprudelgas gehen MINT und Sprache Hand in Hand

Gute Sprach- und MINT-Bildung beruht auf den gleichen Grundprinzipien guter Lernbegleitung. Wenn es beim gemeinsamen Entdecken und Forschen gelingt, feinfühlig und in guter Beziehung zu den Mädchen und Jungen zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen, befeuert das einen intensiven Dialog, der einer tiefen kognitiven Auseinandersetzung mit dem Naturphänomen genauso dient wie dem Spracherwerb.

In Kindertagesstätten ist der pädagogische Alltag von Vielfalt, Spontanität und Überraschungen geprägt. Für die Kinder bedeutet jeder Tag eine Entdeckungsreise. Pädagogische Fachkräfte stehen vor der Herausforderung, nicht nur die Interessen aller Mädchen und Jungen gleichermaßen wahrzunehmen, sondern auch den verschiedenen Anforderungen des gesetzlichen Bildungsauftrages gerecht zu werden. Das ist nicht immer einfach. Angebote für eine frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sind oft speziell initiiert, vom Kita-Alltag losgelöst und überfordern, etwa wegen langer Vorbereitung oder wenig Kenntnissen über die einzelnen Naturphänomene. Genauso bedürfen viele Sprachfördermaßnahmen und -programme mit gesonderten Sprachanregungsmaterialien und Beobachtungsverfahren intensiver Einarbeitung und Begleitung.

Forscherdrang und Sprechfreude der Kinder sind jedoch nicht an spezielle Angebote oder Programme gebunden. Sie durchziehen den Alltag. MINT-Themen stellen sich z.B. oft von selbst ein oder werden von den Kindern aufgeworfen. Und auch Sprache findet immer und überall statt. So bieten das Forschen und Entdecken eine von vielen Gelegenheiten, in der Interaktion mit den Kindern auch den Spracherwerb zu fördern.

Unser Gehirn lernt immer und überall

Auch die Erkenntnisse der Hirnforschung stützen ein pädagogisches Vorgehen, das einen feinfühligen Blick auf den Alltag richtet, der sowieso jeden Tag aufs Neue die besten Lerngelegenheiten bietet. Jede Situation unseres Lebens stellt eine Erfahrung dar, die durch unser Gehirn verarbeitet wird, unabhängig davon, ob es einen ausdrücklichen Lernauftrag gibt oder nicht.

Unser Gehirn lernt immer und überall. Lernen lebt von aktiver Auseinandersetzung und profitiert von einer variierten Wiederholung, dem vollen Körpereinsatz mit allen Sinnen, dem Erleben des Erkenntnisgewinns und nicht zu vergessen dem Spaß dabei. Positive Emotionen und Motivation unterstützen die dauerhafte und gute Vernetzung des Gelernten im Gehirn und eine sinnvolle Einbettung des Erlernten in einen breiteren inhaltlichen Kontext ermöglicht den Wissenstransfer auf viele andere Situationen, Themen und Bereiche.

Ermutigen Sie die Mädchen und Jungen, das Wasser mit allen Sinnen zu erkunden.

Forschen am Frühstückstisch

Beim Entdecken und Forschen in der Kindertageseinrichtung geschieht im besten Fall genau das: Sie reichen beim gemeinsamen Frühstück ein Glas mit stillem und eins mit Sprudelwasser, um einen lebhaften und intensiven Prozess bei den Mädchen und Jungen auszulösen. Lassen Sie die Kinder die Gläser zunächst beobachten und miteinander vergleichen. Welche Unterschiede stellen die Kinder fest? Ermutigen Sie die Mädchen und Jungen, das Wasser mit allen Sinnen zu erkunden. Die aufsteigenden Blasen lassen sich nicht nur beobachten, sondern auch fühlen, beispielsweise, wenn man den Finger ins Glas steckt. Die Kinder können auch einen kleinen Schluck des Sprudelwassers in den Mund nehmen und vor dem Herunterschlucken das Prickeln auf der Zunge spüren. Wie fühlt sich dagegen das stille Wasser an? Und kann man anhand des Geruchs Sprudel und stilles Wasser unterscheiden? Sprudelwasser lässt sich außerdem hören. Wenn alle ganz still sind oder ein Ohr direkt ans Glas halten, kann man das leise Knistern wahrnehmen.

Ganz leicht gelingt es, Alltagssituationen für MINT-Bildung zu nutzen und Kindern die Gelegenheit zu geben, ihre Umgebung genau zu erkunden und gemeinsam mit ihnen unter die Oberfläche von Phänomenen zu schauen. Dabei spielt das Mitteilen, die Sprache, eine ganz wesentliche Rolle. Forschen ist ein sozialer Vorgang: Es wird immer auch gesprochen. Die Kinder verbalisieren Vermutungen und Gedanken, formulieren Beobachtungen und diskutieren ihre Ergebnisse untereinander. Gelingt es Ihnen als pädagogischer Fachkraft nun, feinfühlig und in guter Beziehung zu den Mädchen und Jungen zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen, dann befeuert das einen intensiven Dialog zwischen Ihnen und den Kindern. Dieser Dialog dient sowohl einer tiefen kognitiven Auseinandersetzung mit dem Naturphänomen als auch dem Spracherwerb.

Die Begleitenden dürfen sich zurückhalten

Egal, ob Sie ein Kind naturwissenschaftlich oder sprachlich fördern möchten: Die Voraussetzung dafür, dass es gelingt, ist immer eine vertrauensvolle Beziehung. Eine wertschätzende Haltung gibt den Mädchen und Jungen Sicherheit und Orientierung.

Begleitende pädagogische Fachkräfte dürfen sich zurückhalten, wenn die Kinder entdecken und forschen. Dabei sind sie aber durchaus aktiv, indem sie die Mädchen und Jungen aufmerksam beobachten und Blickkontakt halten. Wenn ein Kind aufschaut und die Interaktion sucht, bemerkt das die Fachkraft und kann auf den Wunsch des Kindes eingehen. Ohne Blickkontakt gelingt die Kommunikation nicht, weil die Kommunikationspartner nicht sicher sein können, ob ihr Gegenüber noch aufmerksam ist. Und hört ihm scheinbar niemand zu, dann verliert ein Kind schnell seine Sprechfreude, weil es ja keinen interessiert, was es sagt.

Ein Mädchen beobachtet mit einer Lupe einen Gegenstand im Wasserglas.
© Stiftung Kinder forschen

Nicht zu viel anleiten

Zu viel Anleitung kann die Eigenaktivität der Mädchen und Jungen behindern. Häufig ist das, was beim Forschen passiert, für Kinder viel überraschender als für Erwachsene. Sie wiederholen den Versuch immer wieder, um sich zu vergewissern, dass auch beim nächsten Mal das Gleiche wieder passiert. In dieser sensiblen Phase ist ein Übermaß an Input eher hinderlich. Kinder haben ein anderes Tempo – auch untereinander – und brauchen viel Zeit, um sich ihrer Beobachtungen bewusst zu werden. Auch die Sprechfreude der Mädchen und Jungen wird eher behindert, wenn Fachkräfte zu viel reden. Vor allem sprachschwächere Kinder benötigen mehr Zeit, um eigene Gedanken zu formulieren, eine Frage zu verstehen oder auf eine Frage zu antworten.

Den Kindern sollte Zeit zum Ausreden gegeben und möglichst nichts vorweggenommen oder „in den Mund“ gelegt werden. Gerade in der Interaktion mit sprachlich schwächeren Mädchen und Jungen neigen Erwachsene manchmal dazu, ihnen Dinge „von den Augen abzulesen“, statt die Äußerung des Kindes abzuwarten. Das kann schnell zur Routine werden und vergibt Chancen, die gerade diese Kinder dringend brauchen, um sprachliche Hürden „anzupacken“. Den Mädchen und Jungen sollte also auch sprachlich immer die aktive Rolle zukommen, denn das eigene Mitteilungsbedürfnis in natürlichen Kommunikationssituationen ist der größte Motivationsfaktor für sprachliches Lernen.

Wissensfragen sollten Sie als pädagogische Fachkräfte erst dann stellen, wenn Kinder sie auf Grund ihrer Vorerfahrungen auch beantworten können.

Die richtigen Fragen stellen

Eine gute Frage lässt sich am besten dadurch beantworten, dass man etwas tut. In unserem Fall ist das Ergebnis eines Versuchs auch die Antwort auf die Frage. Die Kinder sehen zum Beispiel, dass die Senfkörner im Sprudelwasser auf und ab tanzen. Aber Rosinen? Passiert mit ihnen das Gleiche? Diese Frage können die Kinder beantworten, indem sie statt der Senfkörner nun Rosinen ins Sprudelwasser streuen. Wissensfragen sollten Sie als pädagogische Fachkräfte erst dann stellen, wenn Kinder sie auf Grund ihrer Vorerfahrungen auch beantworten können.

Machen Sie sich zum Beispiel den Unterschied zwischen folgenden Fragen deutlich: „Warum ist das so?“ und „Warum, glaubst du, ist das so?“ Die zweite Frage ist für viele Mädchen und Jungen einfacher zu beantworten. Kinder trauen sich eher, ihre Ideen und Vermutungen zu formulieren, auch wenn sie physikalisch nicht korrekt sind. Sie können so ihr eigenes Weltbild entwickeln, „physikalische Denkfehler“ sind dabei erlaubt.

"Ja" und "Hm" sind erlaubt

Durch korrektives Feedback werden sprachliche Fehler behutsam aufgegriffen. Mit sprachmodellierenden Strategien kann die Äußerung des Kindes inhaltlich und sprachlich erweitert werden. So bekommt es die Gelegenheit, ein korrektes Sprachvorbild zu hören, und erhält eine implizite Rückmeldung zum eigenen Sprechen.

Pädagogische Fachkräfte kommentieren Ereignisse und unterstützen auf diese Weise durch ihren sprachlichen Input den Wortschatzaufbau und den Grammatikerwerb. Des Weiteren stellen Sie Fragen, die die Kinder zum Nachdenken anregen und gleichzeitig motivieren, eigene Beobachtungen mitzuteilen. Pädagogische Fachkräfte warten aber auch ab und lassen die Kinder erzählen und ausprobieren. Durch Kopfnicken oder auch ein gemurmeltes „ja“ oder „hm“ machen sie deutlich, dass sie zuhören und mit Interesse verfolgen, was die Kinder entdecken.

Seit 2010 kooperiert die Stiftung »Haus der kleinen Forscher« mit dem Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V. (dbl). Dabei steht die Durchführung von Workshops für pädagogische Fach- und Lehrkräfte im Mittelpunkt. Inhaltlich geht es um Sprachförderung in Verbindung mit naturwissenschaftlichem Forschen und Entdecken im pädagogischen Alltag.

Eine längere Version dieses Beitrags erschien zuerst in KiTa aktuell Ausgabe 01/2020 | Wolters Kluwer Deutschland GmbH  - Carl Link

https://www.kita-aktuell.de/

Portrait von Stefanie Kademann
Autor/in: Stefanie Kademann

Seit nunmehr acht Jahren konzipiere und entwickle ich die pädagogischen Inhalte und Materialien für die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Als Referentin für Naturwissenschaften und Entwicklungspsychologie ist es mir wichtig, pädagogische Fach- und Lehrkräften immer wieder neu für MINT-Themen zu begeistern, sie zu inspirieren und ihnen Werkzeuge zur Lernbegleitung an die Hand zu geben, die den Interessen und Kompetenzen der Kinder verschiedenen Alters gerecht werden.

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Autor/in: Sonja Utikal

Logopädin, M.A. Referentin für Logopädie und Sprachförderung, Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.

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