Nina Addin, was macht gute Musik für Kinder aus?

Porträt von Nina Addin
© Eule findet den Beat
Nina Addin ist "Eule"-Erfinderin und Musik-Managerin

Weil sie mit aktueller Kindermusik unzufrieden war, produzierte Nina Addin zum Ende ihres Studiums an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim mit zwei Freundinnen ihr eigenes Musikhörspiel. Mittlerweile ist "Eule findet den Beat" ein Bestseller mit zwei Fortsetzungen. Ein Gespräch darüber, wie sich Musik für Kinder entwickelt hat, was sie leisten kann und welche Rolle das Streamingzeitalter spielt.

Wie ist es aktuell um Musik für Kinder bestellt?

Was ich vor allem merke, ist, dass es inzwischen viel mehr Kinder-Genremusik gibt. Es gibt Kinder-Hip-Hop wie Deine Freunde, Kinder-Punk wie die Zuckerblitz-Band und dann gibt es Volker Rosin, der eher auf die Schlagertube drückt. Klassische Liedermacher wie Fredrik Vahle gibt es auch weiterhin. Kindermusik wird immer vielfältiger und gibt Kindern und auch Eltern immer mehr zum Auswählen. Das finde ich eine coole Entwicklung.

Gibt es denn Kriterien, die Musik für Kinder zu guter Musik machen?

Nein, das kann man nicht verallgemeinern. Der größte Fehler, den man machen kann, ist, dass Musik, die auf Kinder ausgerichtet ist, zu einfach gehalten wird. Meine Tochter ist fünf, und ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wichtig ihr Melodien sind und was sie inhaltlich versteht. Im zweiten Teil von "Eule findet den Beat" erklären wir anhand von Beispielen Ironie. Alle haben uns gesagt: Macht das nicht, das ist nichts für das Alter! Aber die Kinder haben uns das Gegenteil bewiesen. Das schönste Kompliment, was wir von Eltern bekommen, ist eigentlich, dass die Musik sie nicht nervt. Sie können sie tausend Mal hören und es nervt trotzdem nicht – manche hören sie sogar manchmal alleine, ohne Kinder.

Ein Fahrstuhlpitch für Rolf Zuckowski

Muss Kindermusik denn einen pädagogischen Anspruch haben?

Oder einen Spaß-Anspruch. Die Kinder können auch einfach mitmachen und tanzen. Das finde ich genauso wertvoll wie wenn man eine pädagogische Botschaft mit auf den Weg bekommt. Es ist gut, dass es beides gibt.

Sie sind eine der Urheberinnen der Hörspiel-Reihe "Eule findet den Beat", die inzwischen drei Teile hat und bei der Lieder eine große Rolle spielen. Wie kam es dazu?

Ich habe damals vor rund zehn Jahren Kindermusik als sehr platt empfunden – wenig Neues, schlechte Texte, schlechte Reime. Ich fand, dass auch Kinder ein Recht auf hochwertig produzierte Musik haben. Meine Freundin Charlotte Simon und ich standen beide vor unserer Bachelorarbeit – sie im Fach Grafik, ich in Musikproduktion. Wir wollten uns zusammentun und ein cooles Produkt für Kinder machen. Wir haben angefangen, und dann wurde es immer größer und immer aufwändiger, so dass die Abgabefrist irgendwann sogar vorbei war.

Sie sind aber am Ball geblieben?

Wir haben uns mit Christina Raack noch eine Dritte ins Boot geholt, weil wir festgestellt haben, dass Dialoge schreiben noch einmal eine eigene Kunst ist. Dann haben wir ein Kapitel vorproduziert und damit bei Universal angeklopft. Die haben erstmal abgelehnt, aber ich habe Rolf Zuckowski dort im Fahrstuhl getroffen und die Gelegenheit ergriffen – ein klassischer Fahrstuhlpitch. Zwei Wochen später hat er angerufen und gesagt: "Finde ich ganz toll, was ihr da macht. Macht das mal fertig und dann bringen wir das zusammen raus." So haben wir bei Universal schließlich doch einen Deal bekommen.

Eule findet den Beat

"Eule findet den Beat" erschien 2014 auf Rolf Zuckowskis Label "noch mal!!!". Es folgten "Eule findet den Beat – Auf Europatour" (2016) und "Eule findet den Beat – mit Gefühl" (2020). Hinter allen drei Alben steckt das Dreierteam Nina Addin (Produktion), Charlotte Simon (Grafik) und Christina Raack (Dialoge). Die Songs werden von verschiedenen Komponistinnen und Textern aus den jeweiligen Genres geschrieben. Addin ist zudem seit 2019 Senior Product Manager für Family Entertainment und Kindermusik bei der Universal Music Group.

Falls jemand "Eule" noch nicht kennt, ganz kurz: worum geht es?

Im ersten Teil geht es um Musikgenres. Die kleine Eule geht auf Musikreise und lernt, dass es Popmusik gibt, aber auch Jazz und Rock und Punk. Zu acht Musikrichtungen haben wir Songs komponieren lassen von Musikern aus den jeweiligen Genres – da konnte ich mein Netzwerk an der Pop-Akademie in Mannheim nutzen. Im zweiten Teil geht es um die Musik aus verschiedenen europäischen Ländern – Schlager, Chanson, Flamenco und so weiter – und Eule reist im Tourbus durch Europa. Und in Teil drei macht Eule eine Reise in ihr Inneres und erfährt, wie Musik mit Gefühlen zusammenhängt.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit zwischen Christina Raack, Charlotte Simon und Ihnen genau ab?

Die Grundidee entsteht meistens zwischen uns dreien. Ich überlege meistens gleich, ob zu dem Thema auch gute Songs entstehen könnten, Christina beleuchtet die dramaturgische Seite und Charlotte überlegt sich, wie die Welt aussehen könnte. Danach entwickeln wir gemeinsam die Geschichte und überlegen, was die Reise für Stationen hat. Dann kommt eine Phase, wo ich mich hauptsächlich um die Musik kümmere und mit Autorinnen und Komponisten darüber spreche, wie die Songs klingen könnten. Sie schicken mir Demos und ich gebe ihnen Rückmeldungen dazu, so dass es eingängig aber nicht zu banal ist. Text ist bei Kindermusik auch total wichtig. Es muss in die Lebenswelt der Kinder passen, originell sein und darf den Kindern ruhig etwas zutrauen.

Das Team von "Eule" mit Rolf Zuckowski ist um eine rote Couch mit Palmwelden drapiert.
Das "Eule findet den Beat"-Team: Christina Raack, Nina Addin und Charlotte Simon mit ihrem Förderer Rolf Zuckowski

Und bei den finalen Aufnahmen sind Sie dann zu dritt als Team im Studio?

Genau, da sitzen wir dann auf der Regiecouch und geben den Sprechern gemeinsam Anweisungen.

Zu den "Eule"-Alben gibt es auch Materialien für die Grundschule. Waren Sie daran beteiligt?

Es gibt für alle drei Teile Libretti für Aufführungen sowie Unterrichtsmaterialien. Darin steckt unser Input, entwickelt wurde es aber von Pädagoginnen und Pädagogen. Über die sozialen Medien bekommen wir mit, wie kreativ die Lehrkräfte damit umgehen und wie dankbar sie dafür sind. "Eule" gibt es inzwischen in 30 Prozent aller Grundschulen. Wir bekommen sehr viel Feedback von Lehrkräften, die sich freuen, wie sehr "Eule" an die Erlebniswelt der Kinder anschließt und deren Interesse für Musik weckt.

Das wichtigste ist, zu entdecken, dass es musikalische Vielfalt gibt.

Nina Addin

Eule ist ja eine musikalische Entdeckerin. "Eule findet den Beat" wird ja im Untertitel sogar als "Entdeckerflug durch die Musikwelt" bezeichnet. Was macht das Entdecken von Musik aus?

Das Wichtigste ist, zu entdecken, dass es musikalische Vielfalt gibt. Dass es viel unterschiedliche Musik gibt und man beim Hören einen Geschmack entwickelt. Auch wie unterschiedlich mich Musik berühren kann – bewege ich mich zu einem Punksong vielleicht anders als zu einem Popsong? Was für Gefühle entstehen da bei mir?

Wie kann man Musik denn noch erforschen?

Wirkung von Musik finde ich wichtig. Bei "Eule findet den Beat … mit Gefühl" haben wir einen Song dabei, wo es um Gemeinschaft geht. Da haben wir versucht, ein Lied zu machen, das man singen kann, während man etwas schafft. Durch das gemeinsame Singen und Machen wird man dann stärker oder schafft mehr und spürt das Gemeinschaftsgefühl. Diese Wirkung kann man erforschen, in sich selbst und bei anderen.

Kindermusik im Streamingzeitalter

Menschen in bunten Kostümen posieren auf einer Bühne
© Tini Lazar
"Eule findet den Beat" als Bühnenhsow

Was haben Sie denn durch die drei Eule-Produktionen über musikalische Hörspiele gelernt?

Wir haben festgestellt, dass die Songs auch losgelöst vom Hörspiel funktionieren müssen, weil das Prinzip der Playlisten bei Spotify und Konsorten immer größer wird. Da gibt es dann zum Beispiel eine Party-Playlist mit verschiedenen Songs von verschiedenen Interpreten und das Kind hört sie einfach beim Kindergeburtstag. Deswegen haben wir uns ein bisschen davon gelöst, dass die Lieder immer die Geschichte weitertransportieren müssen.

Was war anders, als Sie "Eule" auf die Bühne gebracht haben?

Da kam auf jeden Fall dazu, dass man Kinder einbeziehen muss. Am Anfang haben wir nur die Songs gespielt und die Geschichte eingesprochen. Dann haben wir gemerkt: Das reicht einfach nicht, wir verlieren die Aufmerksamkeit. Es wurde immer besser, als wir uns von der genauen Nacherzählung gelöst haben und eher den Fokus aufs Mitmachen und Tanzen gelegt haben.

Die Songs müssen heute auch losgelöst vom Hörspiel funktionieren.

Nina Addin

Könnten Sie sich vorstellen, dass Eule sich in Zukunft noch mehr für bestimmte Themen, zum Beispiel Umweltschutz oder Gerechtigkeit, einsetzt?

Es gibt den Impuls, solche Dinge mehr zu versuchen, weil es uns selbst sehr am Herzen liegt, aber die Mischung muss stimmen. Bei "Der Wald ist in Gefahr" auf "Eule findet den Beat – mit Gefühl" ist es uns ganz gut gelungen, finde ich. Würde man einen ganzen Teil darüber machen, könnte aber der Hörspaß verloren gehen, weil der Zeigefinger zu sehr zu spüren ist. Auf Social Media haben wir manchmal Posts gemacht, wo es um Europa ging oder Eule auf eine Demo gegangen ist, aber dort erreichen wir ja nicht die, die wir erreichen wollen, nämlich die Kinder. Der Wunsch ist da, aber wir haben den Weg noch nicht gefunden.

Haben Sie denn schon eine Idee, wo es Eule als nächstes hinzieht?

Viele Ideen, aber noch keine wo wir sagen würden: Das machen wir.

Forscht mit!

Dieses Interview erschien in einer kürzeren Fassung erstmals in Ausgabe 4/2021 unserer Zeitschrift "Forscht mit!". In der dreht sich alles um das Thema Musik, denn Kinder jeden Alters begeistern sich für Töne, Klänge und Lieder. Wir laden Sie dazu ein, gemeinsam mit den Mädchen und Jungen mathematische, naturwissenschaftliche, technische und informatische Aspekte von Musik zu erforschen. Was bewirkt der Takt eines Lieds? Erfinden Sie gemeinsam mit den Kindern Rhythmen und schreiben Sie diese auf. Welche Töne lassen sich mit selbst gebauten Instrumenten erzeugen? Welche passen gut zusammen und wann klingt es schräg?

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Autor/in: Alexander Matzkeit

Alexander Matzkeit leitet das Projekt "MINT und Leseförderung"

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