Klein, oho - nur wie?

Ein Kind betrachtet eine Bienenwabe durch eine Lupe.
© Gregor Eisele / Stiftung Kinder forschen
In Kleinem kann Großes stecken - doch wie soll man es benennen?

Der jährliche Aktionstag „Tag der kleinen Forscher“ findet auch 2019 statt - dann unter dem Motto „Klein, aber oho!“ Doch dazu gab es innerhalb der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ unterschiedliche Meinungen: Ein digitaler Briefwechsel zwischen Heike Müller, Referentin Inhalte und Fortbildung im Projekt Bildung für nachhaltige Entwicklung und dem Vorstandsvorsitzenden Michael Fritz.

Heike schreibt:

Hallo Michael,

ich wende mich mit einer Sache an Dich, die mir keine Ruhe lässt. Es geht um das Motto „Klein, aber oho!“ für den kommenden „Tag der kleinen Forscher“.
Für mich ist es ein diskriminierender Ausdruck, da er impliziert, dass Kleines erst mal weniger kann als Großes. Diskriminierung ist etwas, dem die Stiftung vieles entgegen setzt. Der Titel konterkariert aus meiner Sicht diese Anstrengungen an einer öffentlichkeitswirksamen Stelle.
Du hast schon viele positive Rückmeldungen zu den Titel bekommen, hast Du gesagt. Das spricht doch dafür, dass die Sensibilität für diskriminierende Wortwahl oft noch schwach ausgeprägt ist. Die Stiftung hätte also die Chance mit der Änderung des Mottos in „Klein und oho!“ Aufmerksamkeit zu schaffen für den sensiblen Gebrauch von Sprache.

Ein Abschnitt in der Broschüre zum „Tag der kleinen Forscher“ thematisiert genau das, nämlich, dass kleine Worte große Auswirkungen haben können, sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Es wird Menschen geben, denen das gewählte Motto negativ auffallen wird, bspw. aus den Bereichen des globalen Lernens, der politischen Bildung und der BNE, aber auch Trainerinnen und Trainer sowie Pädagoginnen und Pädagogen, die auf so etwas achten. Es werden wahrscheinlich nur wenige Personen sein. Aber genau dies sind die Menschen, die besonders sensibel für Ungerechtigkeiten in dieser Welt sind und sich oft auch für die Beseitigung einsetzen. Und genau solche Vorreiter und Vorreiterinnen sollen doch unsere starken Kinder werden.

Die Stiftung fördert durch ihre Arbeit das kritische Denken, das Hinterfragen und den Mut die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sei Du doch so mutig und ändere den Titel!
Ich schule Kita-Leitungen darin, den Kindern zu ermöglichen Veränderungen mitzugestalten. Ermöglicht Ihr euren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in diesem Fall, diesen aufgedeckten Fehler zu korrigieren. Meines Erachtens vertut man eine Chance, wenn man das irritierende Motto „Klein und oho!“ als Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ nicht nutzt, um für sprachliche Diskriminierung zu sensibilisieren.
Entschuldige bitte, dass ich mich hier einmische, aber ich kann nicht anders.

Viele Grüße,

Heike

Michael antwortet:

Liebe Heike,

danke, dass Du Deine Gedanken mit mir teilst. Dein engagierter Brief zeigt mir sehr eindrücklich, wie tief Dich diese Frage bewegt. Das Wort und, um das es Dir geht, ist klein, was Du damit verbindest, aber oho. Ich erkenne und respektiere, dass Dir diese Sache persönlich sehr am Herzen liegt, darum will ich Dir ausführlich antworten.

Ehrlich gesagt habe ich bis vor wenigen Tagen ausschließlich positive Werte mit dem Begriff „klein, aber oho“ verbunden. Das wird, wie Du schreibst, den meisten Menschen so gehen. Es ist absolut sinnvoll, einen im allgemeinen Sprachgebrauch genutzten Ausdruck auch mal gegen den Strich zu bürsten, um darunter liegende Konnotationen zu erkennen. Du hast mir gezeigt, dass man diese feststehende Redewendung auch als Diskriminierung verstehen kann. Danke für die Erweiterung meines Horizonts.

In der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ betrachten wir die Dinge immer aus verschiedenen Blickwinkeln, bevor wir eine Entscheidung treffen. Das will ich auch hier tun.

Zuerst zur Sprachwissenschaft: Nutzer einer Sprache entwickeln in vielen Generationen feststehende Redewendungen, mit denen ein bestimmtes Assoziationsnetzwerk verknüpft ist. Solche Redewendungen sichern gesellschaftlich geteilte Werte, ohne sie jedes Mal aufs Neue verhandeln zu müssen. Der Duden übersetzt die Redewendung „klein, aber oho“ mit „umgangssprachlich: klein, aber beachtlich, energisch, selbstbewusst, leistungsfähig usw.“ Das sind alles positiv besetzte Begriffe, die nicht im Widerspruch zur Philosophie der Stiftung stehen. Wir kürzen sie ab mit „Ich kann!“

Im allgemeinen Sprachgebrauch will jemand, der den Ausdruck "klein, aber oho" verwendet, etwas Gutes bewirken. Er oder sie will darauf aufmerksam machen, dass einem Menschen, einem Gegenstand oder einer Idee möglicherwiese die zustehende Bedeutung und Wertschätzung vorenthalten wird. In „klein, aber oho“ existiert noch eine zweite Bedeutung: Derjenige, der den Ausdruck verwendet, will vor großen, vielleicht unabsehbaren negativen Folgen einer Handlung oder Entscheidung warnen.
Wer „klein, aber oho“ sagt, lädt also zum zweiten, genauen Blick ein, zum Blick-Wechsel. Mit einem positiven Menschenbild glauben die Sprecher daran, dass die/der Andere bereit und fähig ist, ihren/seinen Blick, ihre/seine Einschätzung zu ändern. Darin kommt eine zutiefst optimistische und menschenfreundliche Haltung zum Ausdruck.

In der Pädagogik wird diese Redewendung gebraucht, um auf Fähigkeiten von Kindern – die in der Regel eine geringere Körperlänge aufweisen als Erwachsene – hinzuweisen, die vielleicht nicht so offensichtlich sind. Der Gebrauch in der Pädagogik mahnt: Nicht äußerliche Merkmale sind entscheidend. Die Pädagogik, die „klein, aber oho“ sagt, will auf das Entwicklungspotential der Kinder hinweisen. Genau dafür setzen wir uns ein. Wir wollen Menschen stärken, in diesem, unserem Sinn mehr zu tun.

Auch das Wissen des Marketings spricht für „Klein, aber oho!“: Mit dem Motto des jeweiligen Tages der kleinen Forscher wollen wir Aufmerksamkeit auf die Bedeutung guter früher MINT-Bildung für eine nachhaltige Entwicklung lenken. Die Aussage „klein und oho“ liest sich aber leicht weg, eine Formulierung mit „Komma, aber“ dagegen verwehrt den glatten Lese- und vor allem Sprechfluss. Sie steigert die Aufmerksamkeit für unsere Anliegen. Und das ist ein entscheidendes Ziel für unseren jährlichen „Tag der kleinen Forscher“.

Liebe Heike, mit meinen Argumenten habe ich versucht, Dein Verständnis für die Entscheidung zum Motto „Klein, aber oho!“ zu wecken – und hoffe sogar ein klein wenig auf Dein Einverständnis.

Viele Grüße,

Michael

Portrait von Heike Müller
Autor/in: Heike Müller

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist mir ein großes Anliegen. Seit 2005 arbeite ich in diesem Feld und seit 2016 als Referentin für BNE für die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Ich entwickelte hier gemeinsam mit meinem Team die vier Fortbildungen, die die Stiftung momentan zu dem Thema anbietet. Ich schule die Trainerinnen und Trainer insbesondere in den beiden Fortbildungen, die sich an Kita-Leitungen richten.

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Portrait von Michael Fritz
Autor/in: Michael Fritz

Von 2013 bis 2024 war ich Vorstand der gemeinnützigen Stiftung Kinder forschen, die sich für gute Bildungschancen aller Mädchen und Jungen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sowie in der Bildung für nachhaltige Entwicklung einsetzt. Als Vorstandsvorsitzender habe ich vor allem die wirksame Umsetzung der strategischen Ziele der Stiftung und damit die inhaltliche, pädagogische und wissenschaftliche Seite der Stiftungsarbeit im Blick.

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